MAXIMILIANS LETZTER TRIUMPH

Der Verkünder des Triumphs
Der Triumphzug Kaiser Maximilians (1526, 1765)
Artisten
: Burgkmaier/Höfer   Quelle: Universitätsbibliothek Graz

Ich sitze am späten Silvesterabend des Jahres 2023 an meinem Küchenfenster, schaue hinaus in den dunklen, feuchten Nebel und denke über die Dinge im Allgemeinen und den Sinn des Lebens im Besonderen nach. Mir kommt in den Sinn, dass das meiste von dem, was ich in den früheren Jahren meines Daseins erreicht habe, bereits in Vergessenheit geraten ist, wie Sand, der durch die Sanduhr rieselt.


Was wird von mir übrigbleiben, wenn ich nicht mehr bin? Was wird aus all den Arbeitsprojekten, mit denen ich mein ganzes Leben lang so beschäftigt war? Die einzigen Leute, die sich noch vage an mich erinnern, sind die Gleichaltrigen, die bald ebenso abtreten werden wie ich. Die anderen sehen einen alten Tattergreis, der auf dem Weg zum Café über den vereisten Bürgersteig stolpert, haben vielleicht sogar Mitleid mit dem Schwächling, aber keine Ahnung von dem Mann, der ich einmal war.


Doch gibt es Hoffnung inmitten dieser Niedergeschlagenheit. Habe ich nicht im Laufe meines Lebens drei Bücher veröffentlicht, Werke, die mich überleben und für immer in den Gewölben der Königlichen Bibliothek ruhen werden? In der Tat, eine Art des virtuellen Überlebens, sozusagen eine mediale Unsterblichkeit! 


Damit Sie mich nicht für einen alten Narren halten, der sich mit solchen Einsichten trösten muss, kann ich Ihnen verraten, dass ich diese Vorstellungen mit Männern teile, die weitaus bedeutender sind als ich, und die im kollektiven Gedächtnis der Menschheit ein echtes Nachleben haben! Das erläutere ich gerne näher in einer Geschichte, die mich in letzter Zeit fasziniert und beschäftigt hat und die auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, sicher interessieren wird! Sie spielt sich vor etwa fünfhundert Jahren ab und hat als Hauptperson einen Herrscher, dem man sogar den Titel Römischer Kaiser verlieh ...


-o-


Es war Ende November im Jahr des Herrn 1509. Kaiser Maximilian, der Erste seines Namens, saß allein in seinen Privatgemächern in der Innsbrucker Residenz. Trotz des Feuers im Kamin fröstelte er und musste sich gegen die nasskalte Herbstluft fest in seinen Pelzmantel hüllen. Draußen, durch das Bleiglasfenster zu sehen, streckte der Nebel seine Fühler aus, um den Schlosshof zu umhüllen. Der Fürst fühlte sich alt und müde. Er war erst fünfzig Jahre alt, aber er hatte ein hartes Leben hinter sich, und seine Vitalität begann zu schwanken.


Die Innsbrucker Residenz                               eines alternden Kaisers
Artist beider Bilder: Albrecht Dürer    Quellen: Albertina and Kunsthistorisches Museum, Wien

Maximilian war gerade von einem seiner zahlreichen Kriegszüge zurückgekehrt. Diesmal leider mit einem kläglichen Misserfolg, der seinem Ruf als Kriegsheld und Feldherr schweren Schaden zufügte. Im zeitigen Frühjahr war sein Heer zusammen mit französischen und spanischen Truppen sowie päpstlichen Kontingenten durch Norditalien gestürmt und hatte fast alle venezianischen Besitzungen auf dem Festland erobert. Gebiete, die die Serenissima im Jahrhundert zuvor gewonnen hatte, konnten wieder in das Reich eingegliedert werden. Leider nur für kurze Zeit, denn schon traten die Venezianer zum Gegenschlag an und erhielten alles zurück. So war der Kaiser gezwungen, noch im Spätsommer ein neues Heer aufzustellen. Hunderttausende von Gulden musste er opfern, um mit 30.000 Mann wieder nach Süden ziehen zu können; schließlich galt es, den Sieg zu erzwingen.


Diesmal war er auf sich allein gestellt, abgesehen von einer kleinen französischen Hilfstruppe zu Pferd. Und das Unglück hatte ihn fest im Griff. Den ganzen September verbrachte er mit dem Sturm auf Padua, das Zentrum des venezianischen Festlands. Die ständigen Angriffe führten zu nichts, außer zur Dezimierung seiner Truppen. Schließlich sah er sich gezwungen, die französische und die eigene Kavallerie aufzufordern, vom Pferd zu steigen, um die zersplitterten Landsknechtshaufen wieder einigermaßen kampffähig zu machen. Dies wurde von beiden Seiten kategorisch abgelehnt. Damit war alles aus. Die Kriegskasse war leer und der Winter schon in Sicht, so dass dem Kaiser nichts anderes übrigblieb, als sich in Wahnehre mit dem Rest seiner Truppen nach Tirol zurückzuziehen.


Der Venediger Feldzug 1509          Anfangs erfolgreich – schlussendlich nur Wahnehre
Triunfo del Emparador Maximiliano     Quelle: Biblioteca nacional de Espagna 

So war es kein Zufall, dass sich der Herrscher an diesem Herbstabend in seiner Innsbrucker Residenz alt, müde und melancholisch fühlte. Das Leben schien ihm bereits aus den Händen zu gleiten, und der Tod ihm mit dürren Fingern den Weg ins Jenseits zu weisen. Werden meine Misserfolge mein gedechtnus auslöschen, mahlten seine Gedanken. Werde ich für immer als der Herrscher dastehen, der seine edle Bestimmung verfehlt hat? Ein kläglich gescheiterter Kaiser, der als schlechtes Beispiel in die Chroniken eingehen wird? Was werden meine Enkel und deren Nachkommen von mir denken? Werden sie vielleicht sogar meinem schlechten Beispiel folgen? Werden alle meine Lebenserfolge verblassen, wenn ich nicht mehr bin, zerschlagen vom Unheil meines Alters?


"Wer ime in seinem leben kain gedachtnus macht, der hat nach seinem todt kain gedachtnus, und desselben menschen wirdt mit dem glockendon vergessen," flüsterte er verstimmt vor sich hin.

-o-


Das Schicksal meinte es zunächst gut mit Maximilian, schon in seiner Jugend. Ein kühner Herzog, Karl von Burgund, fiel 1477 in der Schlacht von Nancy und hinterließ nur ein Kind, seine Tochter Maria, die zum reichsten Souverän Europas wurde. Dem jungen Sohn des Kaisers gelang es, ihr Herz zu gewinnen, und noch im selben Jahr fand die Hochzeit statt.


Maximilian heiratet Maria von Burgund 1477
Triunfo del Emparador Maximiliano     Quelle: Biblioteca nacional de Espagna

Wenige Jahre später verzichtete sein Onkel Erzherzog Sigismund auf seine Herrschaft in Tirol und Vorderösterreich, und Maximilian konnte ihm als Graf von Tirol und Herrscher über die Vorlande nachfolgen. Mit den Geldern aus dem reichen Burgund und dem Silber Tirols konnte er genügend Truppen aufstellen, um 1490 die österreichischen Erblande von den Ungarn zurückzuerobern, die sie seinem Vater entrissen hatten. Wien gehörte wieder den Habsburgern! Sogar die ungarische Krone, die den Habsburgern schon 1463 versprochen worden war, schien ihm in den Schoß zu fallen. Fünfzehn Jahre später brachte ihm ein neuer Feldzug, diesmal im Auftrag des Reiches gegen die Landshuter Bayern und Böhmen, die Städte Kitzbühel, Kufstein und Rattenberg ein, sowie Schwaz, wo sich die bedeutendsten Silbervorkommen Europas befanden. 


Die Belagerung von Kufstein 1504
Triunfo del Emparador Maximiliano     Quelle: Biblioteca nacional de Espagna


Seine größten Erfolge erzielte er jedoch auf dem Gebiet der Diplomatie, vor allem durch sein erstaunliches Geschick bei der Aushandlung zukunftsträchtiger Heiratsverträge für seine Nachkommen. Bereits 1483, kurz nach dem Tod seiner Frau Maria, ließ er seine Tochter mit dem Dauphin verheiraten, um den Frieden mit Frankreich zu sichern und zu bewahren.Er selbst heiratete 1494 erneut, diesmal Bianca Sforza, eine Nichte des in Mailand regierenden Condottiere. Dadurch konnte er sein Vermögen beträchtlich vermehren und gleichzeitig Mailand wieder in das Reich eingliedern: Er bestätigte seinen Schwiegervater kurz danach als Herzog mit Mailand als Herzogtum und Reichslehen.


Zwei Jahre später gelang es Maximilian, eine Doppelhochzeit mit Spanien auszuverhandeln. Sein Sohn Philipp wurde mit Prinzessin Johanna verheiratet, seine Tochter Margarete ein Jahr später mit dem spanischen Thronfolger. Damit schuf er eine enge Verbindung zwischen Spanien und dem Reich und – noch unbewusst – die Aussicht, Spanien als habsburgisches Erbland zu gewinnen.


Philipp heiratet Johanna von Spanien 1496
Triunfo del Emparador Maximiliano     Quelle: Biblioteca nacional de Espagna

Auch als Staatsmann konnte er Erfolge verbuchen, selbst als Herrscher des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, einem fast unregierbaren Sammelsurium von Fürstentümern. Als Nachfolger seines Vaters wurde er 1493 zum römischen König gekrönt. Bereits zwei Jahre später berief er den Reichstag zu Worms ein mit dem Ziel, aus diesem Konglomerat von Reich ein gefestigtes Großgermanien zu schaffen, wie es den Königen von England, Frankreich und Spanien bereits gelungen war.


Nach zähem Ringen mit den nach wie vor selbstherrlichen Reichsfürsten gelang es schließlich, diesem Ziel näher zu kommen. Der Reichstag konnte ein Reformpaket beschließen, das aus drei neuen Institutionen bestand: dem Ewigen Landfrieden, der den ständigen Fehden zwischen den Hochadligen ein Ende bereitete, dem Reichskammergericht, das Rechtsstreitigkeiten zwischen den Fürsten entschied, und dem Gemeinen Pfennig, einer allgemeinen Vermögensteuer, die jeder im Reich, auch der Adel, zu entrichten hatte.


Tagung des Reichskammergerichts in Wetzlar
Kupferstich (1750)     Quelle:: Städtische Sammlung Wetzlar

Es ist verständlich, dass Maximilians Kamm mit all diesen Erfolgen anschwoll. Er begann sich mehr und mehr als europäischer Universalmonarch zu verstehen, der den Kontinent zu einem massiven Kreuzzug gegen den Antichristen im Osten aufzubieten hatte. Mit Frieden und Ordnung im Reich, in der Hoffnung auf einen steten Zufluss von Steuergeldern, mit den Mitteln aus seinen Erblanden, und mit der Mitwirkung der Kirche, seiner verbündeten Könige und Fürsten sah er sich bereits als Feldherr eines großen Heeres, das dem Kruzitürken ein für allemal den Garaus machen und Konstantinopel wieder heim ins Christenreich bringen würde. Nach einem allzu langen Interregnum würde Imperator Maximilianus Magnus das Römische Reich wieder vollenden, wie es schon Justinianus dem Großen ein Jahrtausend zuvor gelungen war. Fürwahr, Ehrgeiz, großer Ehrgeiz, grandiose Erwartungen ..


-o-


Warum also sorgte sich Maximilian so sehr um sein Nachleben? War er doch einer der erfolgreichsten und mächtigsten Herrscher der Christenheit?


Germania (symbolisiert Königskrönung 1486; rechts) und Heilige Roma (Symbolisiert Kaiserkrönung 1508; links)
Triunfo del Emparador Maximiliano     Quelle: Biblioteca nacional de Espagna

Nicht so voreilig! Die Schicksalsgöttin Tyche schenkt uns zwar Glück und Erfolg, kann uns aber auch Unglück bringen. Zwar haben wir für Maximilian bisher nur Erfolg notiert. Aber für jeden seiner Schritte vorwärts gibt es einen Schritt zurück oder seitlich zu verzeichnen, um seine Lebensbeschreibung abzurunden.


Das Unglück des Herrschers begann kurz nach seiner Heirat mit Maria von Burgund. Seine Frau starb bereits fünf Jahre später nach einem Reitunfall, konnte ihm aber zuvor noch einen Sohn (Philipp) und eine Tochter (Margarete) schenken. Die niederländischen Stände waren jedoch nicht bereit, den Erzherzog als Regenten für seinen Sohn anzuerkennen. Er musste sich seine Position erst erkämpfen. Es folgten Jahre der Unruhen und Aufstände, die nur mit großem Aufwand an Truppen (und Geldern) niedergeschlagen werden konnten, um Habsburgs Machtanspruch zu behaupten.


Bezwingung des ersten flämischen Aufstands
Triunfo del Emparador Maximiliano     Quelle: Biblioteca nacional de Espagna

Hinzu kam, dass Frankreich einen großen Teil von Marias Erbe als Kronlehen beanspruchte und Maximilian den Krieg erklärte. Nach fünfzehnjährigem Ringen, bei dem enorme Geldsummen für Kriegszüge und Aufstände verschlungen wurden, kam es schließlich zum Frieden von Senlis (1493), allerdings zu einem hohen Preis. Mehr als ein Drittel von Marias Erbschaft musste an Frankreich abgetreten werden.


Es darf nicht verwundern, dass beide seine Heiratsvereinbarungen mit Frankreich scheiterten. Neben der Vermählung seiner Tochter mit dem Dauphin 1483 hatte Maximilian selbst 1491 Anne de Bretagne zur Frau genommen, um Frankreich zum Frieden zu zwingen. Ohne Erfolg! Der Dauphin, damals schon als Karl VIII. König, verstieß umgehend seine Gemahlin Margarete und zwang Anne, ihn selbst zu heiraten (die Verbindung mit Maximilian war noch nicht vollzogen). Ein unerhörter Affront gegen einen Herrscherbruder! 


Bei den Heiratsverhandlungen mit Spanien verband sich Maximilian, den Anspruch König Ferdinands auf die neapolitanische Krone zu unterstützen. Dadurch wurde er zusammen mit dem Reich in die Großen Italienischen Kriege (1494-1559) verwickelt, die den Kaiser überdauern und noch weitere vierzig Jahre andauern sollten. Außerdem war seinem Sohn zwar unerwartet das Recht auf die spanische Krone zugefallen, aber Philipp starb nur wenige Monate nach seiner Krönung zum König von Kastilien im Jahr 1504. Die Frage, ob einer der beiden Kleinkinder Philipps jemals die Nachfolge Ferdinands von Aragon als König von ganz Spanien antreten würde, blieb offen.


Militärische Unterstützung der Spanier in Neapel 1501 – erfolgreich, aber kostspielig!
Triumphzug Kaiser Maximilians I     Quelle: Österreichische Nationalbibliothek

Ein weiterer Rückschlag kam, als die Franzosen 1500, kaum vier Jahre nach Maximilians Hochzeit mit Bianca Sforza, Mailand eroberten und Herzog Sforza bis zu seinem Tod gefangen hielten. Nie wieder sollte die reiche Lombardei dem Kaiser als Lehen zur Verfügung stehen. Und des Kaisers Schwiegeronkel würde in französischen Verliesen verschmachten. Welch schamlose Schandtat!


Auch Maximilians Hoffnung, sich die ungarische Krone auf das Haupt setzen zu können, wurde vereitelt. Nach dem erfolgreichen Feldzug von 1490, der nach dem Tod von Mattias Corvinus zur Rückeroberung der österreichischen Erblande geführt hatte, stürmte er mit seinem Heer auch in Ungarn ein. Die Stephanskrone war den Habsburgern bereits dreißig Jahre zuvor im Vertrag von Ödenburg in Aussicht gestellt worden, und nun schien ihm die Gelegenheit günstig, das Versprechen einzulösen.


Der ungarische Feldzug 1490, der mit schmälichem Rückzug endete 
Triumphzug Kaiser Maximilians I     Quelle: Österreichische Nationalbibliothek

Sein Feldzug war zunächst erfolgreich, und bald war die alte Königsstadt Stuhlweißenburg erobert (und geplündert). Aber was nützte das? Der Krieg zog sich hin, und schon war es Spätherbst, die Feldkasse war leer, und die Landsknechtshaufen waren nicht bereit, ohne Sold weiter zu kämpfen, geschweige denn in den Winter hinein! Ein voreiliger Feldherr musste mit seinen Truppen schmählich den Rückzug antreten.


Seine Vision, ein Großgermanien zu schaffen und zu festigen, einen grandiosen Kreuzzug gen Osten zu formieren und Konstantinopel für die Christenheit zurückzugewinnen, erwies sich als Schimäre. Schon die auf dem Wormser Reichstag 1495 getroffenen Vereinbarungen wurden von einigen Reichsterritorien abgelehnt. Vor allem die argen Eidgenossen wollten von fremden Richtern nichts wissen und dem Kaiser keinen einzigen Pfennig geben.


Bald kam es zu kriegerischen Scharmützeln zwischen den Schweizern und den benachbarten Schwaben, die nach und nach auch Maximilian und das Reich in Mitleidenschaft zogen. Der berüchtigte Schwabenkrieg (der greuliche Schweizer krieg), der 1499 neun Monate dauerte, brachte Maximilian und seinen Verbündeten nur Niederlagen und zwang den Herrscher zu einem kläglichen Frieden, der den Eidgenossen de facto den Austritt aus dem Reich gestattete.


Der greuliche Schweitzer krieg 1499
Triumphzug Kaiser Maximilians I     Quelle: Österreichische Nationalbibliothek

Das Beispiel der perfiden Eidgenossen ermutigte auch die Reichsfürsten und Reichsstädte, 

Maximilian die Finanzierung großer sowohl als regionaler Feldzüge standhaft zu verweigern. 

Aus dem geplanten Riesenkreuzzug gegen die Osmanen wurde daher nichts. Für andere kriegerische Abenteuer, die der kampfeslustige Herrscher anstrebte, vor allem die Feldzüge in Italien, musste er sich mit seiner Privatschatulle begnügen. Diese war bald leer und blieb es auch, was zu einer immensen persönlichen Verschuldung führte, die ihn von den immer reicher werdenden deutschen Bankiers abhängig machte. Bei seinem Tod belief sie sich bereits auf 6 Millionen Gulden, die seine Erben erst nach einem Jahrhundert vollständig tilgen konnten.


-o-


Zurück zu jenem trüben Novemberabend in Maximilians Privatgemächern! Mochte der Herrscher auch noch so melancholisch sein, konnte er doch nicht seinen Charakter als Mann der Tat und Entscheidungskraft verleugnen. Fest entschlossen, seine Niedergeschlagenheit zu bekämpfen, fühlte er sich gezwungen, wieder zur Handlung zu schreiten. Aber wie und womit? Plötzlich kam ihm eine Eingebung. Vor seinem geistigen Auge sah er einen steinernen Pfeiler in den Himmel ragen, ein Wahrzeichen für bessere Zeiten.


Die Trajanssäule
Alfonso Chacón, Historia utriusque belli Dacici a Traiano Caesare gesti (1616)
nach Zeichnungen von Jacopo Ripanda (–1516)    Quelle: Brown University Library

Heute kennen wir diesen Pfeiler als Trajanssäule. Sie hat fast zwei Jahrtausende überdauert und war noch im Mittelalter an den Adelshöfen wohlbekannt. In der Zeit Maximilians wurde sie von dem Künstler Jacopo Ripanda genau inventiert und in einer Serie von Zeichnungen detailgetreu wiedergegeben. Da diese wohl auch an den Kaiserhof gelangten, erklärt sich die Begeisterung Maximilians für die Säule in seinen Träumen.

 

Dieser berühmte Pfeiler ist mit einer spiralförmig aufsteigenden marmornen Girlande geschmückt, die die Eroberungen des großen römischen Kaisers Trajanus darstellt. Würde man die Girlande lösen und ausbreiten, wäre sie 200 Meter lang und einen Meter breit. Könnte ich mir nicht auch ein solches Denkmal für meine Eroberungen errichten lassen, dachte Maximilian. Einen Triumphzug, vielleicht nicht in Marmor, das würde zu lange dauern und meinen Geldbeutel sprengen. Aber warum nicht auf Pergament, aus feinster Kalbshaut hergestellt und wie eine Schriftrolle aufbewahrt? Darauf könnten meine größten Taten und die Erhabenheit meines kaiserlichen Hofes in prächtigen Farben geschildert werden. An Größe und Erhabenheit sollte mein Denkmal den Vergleich mit der Trajanssäule nicht scheuen!


Gedacht, getan! Sofort ließ er seinen Geheimsekretär Treitzsaurwein zu sich rufen und befahl ihm, das Unternehmen in die Wege zu leiten. Dieser beauftragte den Geschichtsforscher Johannes Stabius, die für das Projekt notwendigen Hintergründe und Unterlagen zu erkunden. Nach drei Jahren intensiver Recherche hatte Stabius so viel Material zusammengetragen, dass er einen ersten Entwurf für den geplanten Triumphzug vorlegen konnte. Maximilian griff nun persönlich in die Gestaltung ein, diktierte Treitzsaurwein den endgültigen Entwurf nach seinen Vorstellungen und übertrug Stabius die Leitung der Ausführung. Dieser wurde nach Regensburg beurlaubt und erhielt dort ein Haus zugewiesen, so dass er die Arbeit der Künstler vor Ort überwachen konnte. Mit der Ausmalung des Pergaments wurde Albrecht Altdorfer und seine Werkstatt betraut, die sich aus Malerkollegen, Gesellen und Lehrlingen zusammensetzte. Die Arbeit begann 1512 und dauerte volle drei Jahre.


Der Arbeitsleiter (Johannes Stabius) und der Maler (Albrecht Altdorfer)
Triumphzug Kaiser Maximilians I     Quelle: Österreichische Nationalbibliothek

Das Ergebnis glich einem Wunder. Als das riesige Pergament zum ersten Mal vor dem prüfenden, aber bald begeisterten Herrscher entrollt wurde, offenbarte sich ein außergewöhnlicher Reichtum an farbenprächtigen Tableaus. Ein Herold verkündete den Triumph am Sattel eines Riesengreifs. Ihm folgte das Hofvolk Maximilians in Scharen: Hofjäger, Musiker, Schauspieler und Mimen. Danach drängten sich bunte Truppen von Turnierfechtern und -stechern – Maximilian war in seiner Jugend auch ein begabter Stecher.


Nun kam der erste Höhepunkt: Ein Banner, das in prächtigen Farben die Hochzeit Maximilians mit Maria von Burgund darstellte, gefolgt von einem Wagen, der den Reichtum der burgundischen Städte, in Gold gefasst, präsentierte. Dahinter marschierten Edle, die mit ihren Fahnen alle Territorien des Herrschers vorzeigten. Dann eine Vielzahl von Bannern, die die großen Feldzüge und die wichtigsten Ereignisse aus Maximilians bewegtem Leben darstellten, gefolgt von einer Prozession von Statuen, die die Vorfahren des Herrschers – echte sowohl als erfundene – darstellten.


Nach all diesem Prunk ritten nun Scharen von Herolden voraus und verkündeten die Ankunft des Kaisers. Dieser sah sich in seiner ganzen Majestät auf dem Triumphwagen vorbeischweben, begleitet von seiner Familie und kutschiert von gar zwölf grauschimmernden Rossen ... und immerfort zog die Kavalkade scheinbar endlos weiter.


Den Abschluss des Zuges bildeten die Landsknechte Maximilians, die mit wehenden Fahnen dem Pergament entlang schritten, gefolgt von der Artillerie des Kaisers, die er über alles liebte. Und, nicht zu vergessen, als Kontrapunkt zu all der Pracht und Herrlichkeit, die sich in dieser gewaltigen Bildrolle entfaltete, schlängelte sich da noch ein Regimentstross kreuz und quer durch die Gegend, so wie er den Landsknechtshaufen auf ihren Kriegszügen stets nachfolgte.


Der Tross
Triunfo del Emparador Maximiliano     Quelle: Biblioteca nacional de Espagna

Begeistert von all dieser Pracht, begann Maximilian schon bald darüber nachzudenken, wie er dieses Prachtstück als Grundlage für seinen Nachruf zur Geltung bringen könnte. Die Pergamentrolle an sich war natürlich ein großartiges Kunstwerk, aber leider nur begrenzt beschaubar. Wenn schon nicht alle meine Untertanen, so sollten doch wenigstens die Fürsten und Städte des Reiches an meinem Triumph teilhaben können, dachte der Herrscher.


Gesagt, getan. Sofort berief Maximilian die berühmtesten Künstler des Reiches – wie Altdorfer, Burgkmair und Dürer – zu sich und beauftragte sie, den Inhalt der Pergamentrolle in Holzschnitten wiederzugeben. Man schätzte die Zahl der benötigten Werke auf 200, teilte die Arbeit unter den Künstlern auf und machte sich zügig an die Arbeit. Nach Fertigstellung sollten die Holzschnitte auf Papier vervielfältigt werden. Die Drucke sollten dann an die Fürsten und Städte des Reiches versandt werden, mit der Anmahnung, sie zusammenzufügen und die Parade in voller Ausbreitung in ihren großen Festsälen auszustellen.


Leider starb Maximilian schon 1519, bevor das Projekt zu Ende geführt werden konnte. Nur 147 Holzschnitte wurden vollendet. Diese unvollkommene Serie wurde erst einige Jahre später im Auftrag von Erzherzog Ferdinand, dem Enkel des Herrschers, wie geplant gedruckt und im Reich verteilt. Die Drucke wurden jedoch nie ausgestellt, sondern von den Empfängern nach eigenem Gutdünken verwendet. Die meisten wurden, wie sie waren, archiviert und später stückweise verschenkt oder weiterverkauft, nur wenige wurden zu Büchern gebunden und so in Gänze erhalten.


Der grosse Triumphwagen des Kaisers Maximilian I
Acht Holzschnittsdrucke von Albrecht Dürer (1518/22), vom Verfasser zusammengefügt
Quelle: The Metropolitan Museum

Bemerkenswert ist, dass der Triumphwagen Maximilians in diesem Drucksatz nicht enthalten ist. Die acht Holzschnitte dazu stammen von Dürer. Dieser beschloss, sie nach Maximilians Tod für sich zu behalten. Später ließ er sie 1523 unter dem Titel Der große Triumphwagen Kaiser Maximilians I. in einer eigenen Ausgabe drucken, die großen Anklang fand und weit und breit im Reich verkauft wurde.

-o-


Man darf wohl annehmen, dass Maximilians Sorgen um sein Nachleben durch die Entstehung der Triumphrolle etwas besänftigt wurden. Aber diente das monumentale Pergament des Kaisers wirklich dazu, seinen Ruf als großer Herrscher zu festigen und zu bewahren? Leider müssen wir feststellen, dass es nur einen geringen Einfluss auf seine Gegenwart hatte.


Die Pergamentrolle und die beiden Kopien, die später davon angefertigt wurden, blieben in den Archiven begraben. Alle drei wurden schließlich zu Büchern gebunden, zogen in Museen und Bibliotheken ein und schliefen dort ihren Dornröschenschlaf. Nur gelegentlich wurden sie von neugierigen Archivaren geweckt, die sie kurz bewunderten und dann wieder in den Regalen schlummern ließen. Ähnlich erging es den Holzschnitten, mit einer Ausnahme: Dürers Ausgabe des großen Triumphwagens fand im Reich großen Anklang, doch vielleicht mehr wegen des Namens des Künstlers als wegen des Ruhmes des Kaisers!


Dabei hätte sich der Kaiser an jenem düsteren Novemberabend 1509 in Innsbruck keine Sorgen um seinen Nachruhm machen müssen: Sein Traum von Universalherrschaft war zwar ausgeträumt, doch sein Enkel ließ ihn wieder aufleben. Für eine kurze Zeit von vierzig Jahren gelang es Karl V. (1500-1558), über ein Reich von fast weltweiter Ausdehnung zu herrschen, in dem die Sonne nie unterging.


Doch auch dieser Traum war nicht von Dauer. Von außen war Karls Reich bedroht und bedrängt von den Erbfeinden Franzosen und Osmanen, von innen zerrissen von den ständigen Glaubenskonflikten. Nach jahrzehntelangem Ringen resignierte der Kaiser, teilte sein Reich unter seinem Sohn und seinem Bruder auf und legte die Herrscherkrone nieder. Damit schuf er zwei Linien der Habsburger, die spanische und die österreichische, wobei letztere die Kaiserwürde erhielt und behielt.


Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, nunmehr unter der Herrschaft der österreichischen Habsburger, konnte sich nicht auf lange Zeit behaupten und erlitt zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Gnadentod. Paradoxerweise sollte dies jedoch zur Bildung eines neuen Kaisertums führen, das seine Existenz schließlich Kaiser Maximilian zu verdanken hatte.


Tu felix Austria nube! (Die Habsburger Doppelhochzeit 1515)
Artist: Václav Brozík (1896)    Quelle: Kunsthistorisches Museum Belvedere, Wien

Im Jahr 1515 schloss der Herrscher ein letztes Eheabkommen, das sich als das erfolgreichste und dauerhafteste von allen erweisen sollte. Auf einem Kongress in Wien mit den Königen von Böhmen/Ungarn und Polen wurde eine Doppelhochzeit zwischen Maximilians Enkelin Margarete und dem Sohn des böhmisch-ungarischen Königs, sowie zwischen einem seiner Enkel (Karl oder Ferdinand) und der Tochter des Königs vereinbart. Maximilian sollte die Folgen dieser Vereinbarung nicht mehr erleben. Margaretes Ehemann Ludwig starb bereits 1526 (damals schon König) in der Schlacht bei Mohács gegen die Osmanen. Damit fiel die Krone Böhmens und Ungarns an Maximilians Enkel Ferdinand, was die habsburgische Hausmacht für Jahrhunderte beträchtlich erweiterte.


Als sich 1806 das für ewig gehaltene Heilige Römische Reich auflöste, konnte wie ein Phönix aus der Asche ein neuer Staat entstehen, der diesmal ausschließlich aus den habsburgischen Erbländern bestand. Das österreichische Kaisertum, die Donaumonarchie, die sich von der schwarzen Erde der Ukraine bis zu den Schluchten des Balkans erstreckte, sollte Maximilian volle 400 Jahre überdauern. Eine bestehende Memoria, die vom diplomatischen Geschick des Herrschers zeugt: Maximilians letzter Triumph!


-o-


Der Transparenz halber sei es mir gestattet, diese Darstellung durch einen persönlichen Kommentar zu ergänzen. Mit Vergnügen stelle ich festt, dass sich unter den Tausenden von Teilnehmern an Maximilians Triumphzug auch einer befindet, der meinen Namen trägt. Es gibt keinen Grund, auf diese Tatsache näher einzugehen, aber ich muss zugeben, dass sie mein Interesse an diesem großartigen Kunstwerk noch gesteigert hat. Das erklärt vielleicht, warum ich mich so intensiv mit Maximilians letztem Projekt beschäftige.

Kommentare

  1. Hallo viellieber Emil,
    Es war ein Vergnügen die Historie von Maximilian I. in Deutsch zu lesen. Das gab mir ein tieferes verstehen und einleben in deiner außerordentlicher Schriftsteller Arbeit.
    Mit voller Hochachtung für deine Schreibkunst,

    Gruß Michael
    Sesimbra/Santiago

    AntwortenLöschen
  2. Die Muttersprache quillt aus Dir heraus in der gewohnten Perfektion und in der angeborenen Nähe zum Elitären

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen